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Forschungraumer CHARR
Im Auftrag des Imperiums
von Conrad Shepherd
LESEPROBE
Das
Forschungsraumschiff CHARR ist mit einer wichtigen Mission in der Großen
Magellanschen Wolke unterwegs: Es soll rund fünfhundert Sonnensonden
aufspüren und entschärfen, von denen jede einzelne in der Lage
ist, einen Stern in eine Supernova zu verwandeln…
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Gemessen
an ihren tatsächlichen Möglichkeiten, »schlich«
die CHARR, dieses Wunderwerk nogkscher Schiffsbaukunst, mit nur einem
Achtel Lichtgeschwindigkeit ins Innere des Systems. Der Terminus Wunderwerk
war die angemessene Bezeichnung für das, was die CHARR darstellte.
Der Fünfhundertmeterriese, vormals Flaggschiff der nogkschen Kampfraumerflotte,
war ein riesiges Ellipsoid. Ein annähernd eiförmiger Monolith
mit stumpfen Enden. Die Farbe der Hülle schimmerte golden, abgesehen
von den in dunkleren Farben abgesetzten Details von Linien und Flächen,
hinter denen sich Hangars, Waffenstationen und Schleusen verbargen. Trotz
ihrer elliptischen Form wirkte die CHARR kraftvoll und elegant –
die nogkschen Konstrukteure hatten mit ihr wahrlich ein Meisterwerk geschaffen
– und sie war Colonel Frederic Huxleys persönlicher Besitz,
nachdem man ihm das Raumschiff als Zeichen der Anerkennung für seine
Verdienste um das Volk der Nogk zum Geschenk überreicht hatte. Gekoppelt
mit der Option, bei jeder sich ergebenden Gelegenheit in den Raumschiffswerften
von Reet oder in jeder anderen dafür ausgerüsteten nogkschen
Werftanlage kontinuierlich auf den neusten Stand der Technik gebracht
zu werden. Seit das ehemalige Flaggschiff des Nogk-Imperiums in den Besitz
Huxleys übergangen war, hatte der Eiraumer auf diese Weise inzwischen
eine Reihe von Modifikationen hauptsächlich im Bereich der Bewaffnung
und der Antriebstechnologie erfahren. Zum augenblicklichen Zeitpunkt gab
es wohl kaum ein Schiff innerhalb der terranischen Flotte, das sich mit
der CHARR messen konnte. Außer Ren Dharks POINT OF vielleicht. Huxleys
früheres Schiff, die FO I, dessen Kommandant er nominell noch immer
war (er wurde auch nach wie vor auf den Lohnlisten der TF geführt),
konnte zusätzlich zu den nogkschen Beibooten in einem speziell eingebauten
Großraumhangar im Inneren
der CHARR hinter einer 200 Meter langen Schleuse mitgeführt werden.
Vor
dem Schiff schob sich langsam Goona Sieben ins Blickfeld. Halb angestrahlt
von der Sonne reflektierte er deren Licht leicht gelb, fast etwas graugelb.
»Ein deprimierender Anblick!« bemerkte Sybilla Bontempi und
erntete von niemandem in der Zentrale Widerspruch. »Bringen Sie
uns in einen hohen Orbit, Lee«, ordnete Huxley an. Die CHARR ging
näher heran. Der Planet war tot.Eine kleine, ausgetrocknete Welt.
Ursprünglich mußte sie wasserreicher und weniger dürr
gewesen sein, jetzt bot sie nur den Anblick absoluter Leere und Verlassenheit.
Keinerlei Anzeichen einer Zivilisation waren zu erkennen.
»Hier werden wir nichts finden«, erklärte Captain Bontempi
mit flacher Stimme.
»Was ist hier geschehen?« rätselte der Colonel, und eine
steile Falte erschien zwischen seinen Brauen.
»Schwer zu sagen«, erwiderte Sybilla Bontempi. »Wir
besitzen leider keinerlei zusätzliche Informationen darüber,
außer denen, daß sich es sich um ein System handelt, aus dem
sich das alte Kaiserreich der Nogk aus irgendeinem Grund zurückgezogen
hatte oder zurückziehen mußte. Als Abschiedsgeschenk hat man
dann noch freundlicherweise eine Sonnensonde in der Korona von Goona hinterlassen.«
»Vielleicht hat man die Planeten bewußt verändert«,
warf der Zweite Offizier ein, »um sie auch für spätere
Interessenten so unattraktiv wie nur möglich zu machen.«
»Hmm, nach dem Prinzip verbrannte Erde, wie?« meinte der Erste.
Sein kantiges Gesicht wirkte außerordentlich nachdenklich. Maxwell
hob die Schultern.
»Wüßte ich’s, wären wir alle schlauer«,
bekannte er lakonisch. Sie diskutierten einige Minuten lang, während
das eiförmige Raumschiff auf die dunkle Seite des Planeten zusteuerte.
Dann waren sie sich darüber einig, daß, abgesehen davon, daß
Goona Sieben an und für sich lebensfeindlich war, hier etwas geschehen
sein mußte. Es sah verdächtig nach einer planetenweiten Katastrophe
aus.
»Oder was meinen Sie, Captain?« wandte sich der Colonel an
Sybilla Bontempi.
»Das ist erst der erste, flüchtige Eindruck, Sir«, bekannte
die Anthropologin. »Ich fürchte, wenn wir die anderen Welten
zu Gesicht bekommen, werden wir vielleicht noch schlimmere Beobachtungen
machen.«
Huxley nickte. »Gut möglich. Mister Prewitt, nehmen Sie Kurs
auf Goona Sechs.«
»Aye, Skipper.«
Die CHARR nahm Fahrt auf, verließ das Schwerefeld der toten Welt
und stieß in das Dunkel des Weltraums vor. Sie raste fast lichtschnell
in Richtung der Koordinaten des sechsten Planeten durch den Normalraum.
Es bestand keine Notwendigkeit, für die geringe Distanz innerhalb
des Systems in den Hyperraum zu gehen.
Nach wenigen Minuten Schiffszeit bremste die CHARR auch schon wieder ab.
»Bringen Sie uns in einen Standardorbit, Nummer Eins.«
Schweigend sah Frederic Huxley die Oberfläche dieses Planeten näherkommen.
»Entfernung?«
»Zwanzigtausend Kilometer.«
Sekunden später verbesserte sich Lee Prewitt: »Zweihundert
Kilometer.«
»Holen Sie mir die Oberfläche näher heran, Mister Perry«,
befahl
Huxley. »Auf den Hauptschirm.«
»Aye, Sir.«
Die optische Tastererfassung fand ausgedehnte Ruinenfelder. Das erste
Anzeichen einer ehemaligen extensiven Urbanisierung dieser Welt durch
eine eindeutig technisch versierte Zivilisation. Aber – war es auch
eine Nogk-Kultur? Captain Bontempi hatte ihre Zweifel. Und nicht nur sie.
Die Besatzung der Zentrale betrachtete die auf den Schirmen vorbeiziehenden
Bilder und wurde immer unruhiger.
»Da ist etwas Ungeheuerliches passiert!« platzte plötzlich
der Astrophysiker Dr. Bernard heraus; der Wissenschaftler hatte das Astrolab
mit dem Leitstand vertauscht, um beim Einsatz des Sonnentauchers
mit Hand anzulegen. Er wirkte im Augenblick ziemlich ratlos.
»Das ist nie und nimmer eine nogktypische Urbanisierung«,
ließ sich die Anthropologin hören. »Oder ist jemand anderer
Meinung?«
»Das scheint ausgesprochen sicher zu sein!« erwiderte Maxwell.
»Keine voreiligen Schlüsse!« empfahl Huxley.
Die CHARR zog unbeirrt ihre Bahn.
»Wir sollten hinunter und uns umsehen«, drängte Sybilla
Bontempi.
»Genau das werden Sie nicht tun!« versicherte der Kommandant.
Die Fremdvölkerexpertin der CHARR holte tief Luft. »Weshalb
nicht?«
»Weil«, gab Huxley ihr zu verstehen, »ich die Verantwortung
für Schiff und Besatzung trage und allen möglichen Stellen gegenüber
Rechenschaft abzulegen habe, wenn etwas geschieht. Es ist schon mancher
Einsatz auf einer Fremdwelt in die Binsen gegangen, nur weil ein paar
Heißsporne alle Vorsicht über Bord warfen. Außerdem sind
wir nur aus einem einzigen Grund hier, wie Sie wissen.«
»Natürlich, Sir. Ich bin ganz Ihrer Meinung. Aber dennoch haben
wir auch eine Pflicht, Vorkommnisse wie diese einer genaueren Prüfung
zu unterziehen.«
Colonel Huxley starrte die Fremdvölkerexpertin an.
»Captain!« sagte er. »So gerne ich Ihnen jeden Wunsch
erfülle, aber…«
»Mit Verlaub, Sir«, schaltete sich der Taktische Offizier
ein, dessen Faible für den zierlichen Captain allgemein bekannt war.
»Die Bomben ticken nicht, die Zeit läuft uns nicht davon. Ob
wir nun die Sonnenbombe ein paar Stunden früher oder einen halben
Tag später entschärfen, fällt kaum ins Gewicht. Oder?«
Lem Foraker, der allgemein bekannt dafür war, daß er für
gewöhnlich keine langen Sätze sprach, verstummte mit einem verlegenen
Zug im Gesicht.
Frederic Huxley sah verblüfft von ihm zu Sybilla Bontempi und wieder
zurück.
»Das hier ist doch ein Komplott, oder?« knurrte er und starrte
die beiden aus schmalen Augen an. Dann wandte er sich seiner Nummer Eins
zu, der grinsend die Schultern hob, als wollte er sagen: Mich dürfen
Sie nicht fragen, Skipper.
Huxley verinnerlichte sich die Worte Bontempis und Forakers eine Zeitlang,
dann sagte er schulterzuckend: »Na, gut. Eine Chance gebe ich Ihnen,
Captain.« Seine Hand schloß einen Kontakt.
»Astrometrie hier. Colonel?«
Der Erste Bordastronom der CHARR blickte von einem Monitor der Kommandantenkonsole.
Professor Allister Bannard hatte wie der überwiegende Teil der CHARR-Besatzung
bereits Dienst auf der FO I getan – er war schon dort Leiter der
Astroabteilung gewesen. Das Wissen des Wissenschaftlers und Astronomen
über Sterne und Galaxien war enorm.
»Mr. Bannard«, wollte Frederic Huxley wissen, »haben
Sie die Position der Sonnenstation schon lokalisiert?«
»Noch nicht, Kommandant«, gestand der Wissenschaftler und
legte unglücklich den Kopf schief. »Das vertrackte Luder zeigt
sich widerspenstig. Ich habe Schwierigkeiten mit dem Abgleich der Absorptionslinien,
um die Position des Artefakts in der Korona genau zu bestimmen.«
»Was meinen Sie, wie lange werden Sie noch brauchen?« Huxley
runzelte die Stirn, während sich auf Sybilla Bontempis Miene ein
Hoffnungsschimmer ausbreitete.
»Kann ich nicht sagen. Vielleicht eine Stunde, vielleicht aber auch
nur fünf Minuten. Tut mir leid, Ihnen keine exakteren Angaben machen
zu können, aber die Wissenschaft ist mitunter eine arg launische
Geliebte.« Huxley kniff kurz die Augen zusammen, dann nickte er.
»Natürlich… Sie haben es gehört«, wandte er
sich dann an den Captain, nachdem sich Bannard wieder ausgeklinkt hatte.
»Keine Chance, Captain. Sie bleiben an Bord.« Das Astrolab
lokalisierte die Sonnenstation bereits nach zwanzig Minuten. Unmittelbar
darauf setzte sich der erste Sonnentaucher in
Marsch. An Bord Lee Prewitt, Professor Bannard und die beiden Leutnants
Jarod Curzon und Pondo Red.
*
Aus
der relativen Nähe von 400 Millionen Kilometern Entfernung wirkte
Goona wie ein Höllenauge. Sie war jedoch keine gleißende Scheibe,
die anzublicken man besser vermied. Auf dem polarisierten Frontschirm
des Sonnentauchers II erkannte man, wie sie im dunklen Weltall brodelte
und kochte, als würde sie jeden Augenblick ihr Innerstes nach außen
spucken.
»Brrr!« Jarod Curzon schüttelte sich und deutete auf
die ständig bewegte Sonnenoberfläche, die wegen der Polarisation
von dunkelroten, fast schwarzen Flecken übersät war. Am Rand
der Sonne, vor dem Hintergrund des Alls gesehen, zeigten sich die zerfaserten
Bögen der Protuberanzen. »Da ist ja allerhand los!«
»Alles halb so schlimm«, relativierte Allister Bannard, der
es sich nicht hatte nehmen lassen, an Bord des Sonnentauchers die Exkursion
ins Innere der Sonne mitzumachen. »Sieht nur so dramatisch aus.
In Wirklichkeit ist diese Sonne eine mehr harmlosere Vertreterin ihrer
Zunft.«
»Ob das die Sonne weiß?« murmelte Pondo Red und warf
seinem Freund Jarod Curzon einen bezeichnenden Blick zu. »Vermutlich
nicht«, gab dieser ebenso halblaut zurück. Huxley hatte die
beiden Nachrichtentechniker im Range von Leutnants mit gutem Grund für
diese erste Sonnenmission ausersehen. Curzon und sein Freund Red waren
knapp über einen Meter neunzig groß, trugen den gleichen Haarschnitt,
waren beide schwarzhaarig und zeigten auch sonst eine derart frappierende
Ähnlichkeit, daß sie an Bord der CHARR nur als »die Zwillinge«
galten, obwohl sie überhaupt nicht miteinander verwandt waren.
Nicht einmal ansatzweise.
Wie Jarod Curzon hatte auch Red graue Augen und zeigte bei Gefahr das
gleiche Grinsen, das zu neunundneunzig Prozent so falsch war wie das eines
Wolfes. Ihr Äußeres entsprach dem, was man gemeinhin als »gutaussehender
Mann« bezeichnete, doch diese Attribute hatten keine Rolle in Huxleys
Überlegungen bei ihrer Auswahl gespielt. Die beiden Raumfahrer waren
hervorragende Piloten und bekannt für ihre Furchtlosigkeit bei heiklen
Missionen, was sie oft genug in der Vergangenheit unter Beweis gestellt
hatten.
Ihre Ausbildung und ihr kühles Reagieren in gefährlichen Situationen
waren der Hauptgrund, weshalb sie Huxley zu diesem Einsatz abkommandierte.
Sie sollten Erfahrungen sammeln, um dann bei den nächsten Einsätzen
als Piloten die weiteren Missionen durchzuführen.
»Ob das die Sonne weiß oder nicht«, griente der Professor,
»ist relativ unwichtig. Die Abschmelzpanzerung unseres Sonnentauchers
gibt uns einen Zeitrahmen von satten vier Stunden. Aber da wir nicht das
Innere der Sonde aufsuchen, wie bei Geret geschehen, sondern sie nur aus
ihrer energetischen Verankerung lösen werden, können wir uns
rechtzeitig wieder aus dem Staub machen.«
Die Digitalziffern veränderten sich lautlos. Niemand sprach jetzt
noch. Die vertrauten Geräusche hüllten die Mannschaft ein und
erzeugten das trügerische Sicherheitsgefühl einer gegen alle
Unbill geschützten Zelle in einer absolut lebensfeindlichen Umwelt.
Endlich sagte Jarod Curzon leise: »Achtung. In ein paar Sekunden
ist es soweit.«
*
Der
Autopilot, gesteuert durch den Bordrechner, ließ den Sonnentaucher
II am genau errechneten Punkt in die Sonne eintreten. Seine Systeme orientierten
sich kurz, und dann begann er mit dem Abstieg in die äußeren
Schichten der Sonnenatmosphäre.
»Unvorstellbar!« murmelte Curzon, als er das Tohuwabohu auf
den stark polarisierten Frontschirmen betrachtete.
»Sagtest du etwas?« erkundigte sich Pondo Red.
»Ich erlaubte mir, meiner Skepsis Ausdruck zu geben«, entgegnete
sein Freund.
»Skepsis? Worüber?«
»Glaubst du im Ernst, wir kommen aus diesem energetischenHochofen
wieder heil heraus?« hielt ihm Curzon vor.
»Ich denke doch.«
»Noch nichts zu erkennen?« kam eine Anfrage aus der CHARR
über To-Funk.
»Nein!« antwortete Prewitt an der FZ-Konsole des Sonnentauchers.
»Wir sind noch nicht nahe genug herangekommen. Sobald wir etwas
erkennen, werden Sie es unverzüglich erfahren, Skipper – ich
halte die Phase offen.«
»Verstanden, Lee! Viel Erfolg!«
»Danke. Können wir brauchen«, war Prewitts knappe Erwiderung.
Die Anspannung der Nerven, diese Folge quälender Ungewißheiten,
die Gedanken an Tod und Untergang innerhalb des atomaren Glutofens einer
Sonne brachen jetzt doch durch. Während die »Zwillinge«
leicht nervös wirkten, bewies Professor Allister Bannard, daß
er entweder abgebrüht wie ein Dockarbeiter auf Cent Field war oder
sich mustergültig beherrschen konnte. Schweigend sah der Astronom
die Anomalie innerhalb der Korona näher kommen, zumindest die Stelle,
an der sie von den starken Ortungsgeräten der CHARR lokalisiert worden
war.
»Entfernung von der Sonnenstation?« wollte Prewitt von seinem
Platz aus wissen.
»Sechstausend Kilometer.«
Sie waren jetzt seit exakt zehn Minuten innerhalb der Sonnenatmosphäre,
wie Jarod Curzon durch einen Blick auf das Multifunktionsgerät auf
seiner Steuerkonsole feststellte. Blieben noch immer knappe vier Stunden,
um heil zurückzukommen. Er bewegte unbehaglich die Schultern. Obwohl
er sicher war – nun, zumindest redete er es sich ein – daß
für das kleine Boot innerhalb der Sonnenkorona für die Dauer
von vier Mal sechzig Minuten keinerlei Gefahr bestand, war das Wissen,
daß außerhalb der Wandungen und der hyperenergetischen Schirmfelder
ein nuklearer Gasriese sozusagen auf Tuchfühlung kochte und brodelte,
nicht dazu angetan, sich entspannt zurückzulehnen und die Fahrt zu
genießen. Die Mannschaft der CHARR hatte zwar schon einige »Tauchgänge«
in die Korona von Sonnen mitgemacht, wenn es galt, sich vor einem zahlenmäßig
übermächtigen Gegner zu verbergen. Doch niemals zuvor war er
so weit in Richtung auf eine Sonnenoberfläche eingedrungen. Er hoffte
nur, die Zeit würde ohne Komplikationen vorübergehen, bis sie
diesen nuklearen Hochofen mit seiner brüllenden Hitze wieder verlassen
konnten.
Seine Blicke ließen den Hauptschirm nicht aus den Augen.
*
Das
speziell gepanzerte Beiboot der CHARR bewegte sich in einem Ozean aus
magnetischem Plasma unterschiedlicher Dichte und Strömungen. Ein
sich ständig veränderndes Konglomerat aus Farben und Formen
brach über die Frontschirme ins Innere des Sonnentauchers, der immer
tiefer in den kochenden Mahlstrom hochenergetischer Neutronen eintauchte,
als wäre dies lediglich die Lufthülle eines Planeten, dessen
Oberfläche es zu erreichen galt. Gigantische Ströme hochenergetischer
Teilchen wirbelten entlang von gewaltigen Magnetfeldlinien, entluden sich
und wurden über den Rand der Photosphäre in den umgebenden Weltraum
geschleudert, wo sie als Sonnenwinde durch das System wanderten.
Ohne Relation zu einem festen Punkt innerhalb des Zentralgestirns schien
das winzige Boot kaum vorwärts zu kommen. Tatsächlich wurde
es jedoch mit hoher Geschwindigkeit durch die
Chromosphäre getrieben, auf ein Ziel zu, das nur aufgrund von Spektrallinien
zu lokalisieren war, die von der Umgebung abwichen. Der Suprasensor hielt
das Beiboot auf Kurs. Und der Antrieb, Gravitationsfelder auf hyperenergetischer
Basis, zwang es hinab in die Tiefe.
»Zustand der Abschmelzpanzerung?« erkundigte sich LeePrewitt
bei Professor Bannard, ohne den Kopf zu wenden.
»Liegt bei neunzig Prozent«, erwiderte der Astronom, dessen
Augen vor wirklicher Begeisterung zu glitzern schienen. So tief im Innern
einer Sonnenkorona war er noch nie gewesen. Obwohl »tief«
nicht wirklich tief war. Gemessen an der Größe dieses Sterns
hatten sie gerade mal die Oberfläche seiner Atmosphäre angekratzt.
Sekunden später sagte der Professor: »Noch siebzig Kilometer.
Ich schalte Vergrößerungen ein.«
Noch war nichts von der Sonnenstation innerhalb der Korona von Goona zu
sehen.
Unbehaglich bewegte sich Jarod Curzon in seinem Kontursitz. Seine Hände
lagen zwar auf der Manuellsteuerung des Bootes, aber er würde den
Teufel tun, dem Suprasensor ins Handwerk zu
pfuschen. Der hatte das kleine Gefährt sicher im Griff. »Ich
frage mich…« begann er. Und verstummte sofort wieder, als
die Orterwarnung eine Abfolge von Alarmtönen produzierte. Prewitts
Blicke flogen über die geschäftig pulsierenden Anzeigen seiner
Konsole.
»Achtung!« ließ sich jetzt Allister Bannard vernehmen.
»Objekt materialisiert vor uns an Backbord…«
*
»Entfernung?«
»Dreißig Kilometer!«
»Geben Sie mir eine visuelle Darstellung!« forderte der I.O.
in das Verebben des Warnsignals. »Maximale Vergrößerung.«
Der Befehl wurde ausgeführt.
Im Augenblick bewegte sich der Sonnentaucher wie durch einen See aus monochromem,
rötlichem Dunst, in dem Ströme aus leuchtender, ionisierter
Materie wie aus dem Nichts entstanden, sich zu Kreisbögen aufwölbten
und wieder verschwanden. Im Innern einer Korona war nichts statisch, erläuterte
der Professor, von Pondo Red auf das Phänomen angesprochen. Alles
unterlag ständiger Veränderung.
Und in diesem rötlichen See aus ionisierter Materie zeichnete sich
die Sonnenstation ab. Als das fremde, gewaltige Relikt aus der Vergangenheit
des nogkschen Kaiserreiches inmitten der Sonnenwinde, der Magnetfeldlinien
und dem Strahlenhagel gewaltiger Neutronenströme auftauchte wie ein
Bote aus dem tiefsten Schlund der Hölle, zuckte Lee Prewitt für
den Bruchteil einer Sekunde zusammen, so übergangslos geschah dieser
Vorgang. Wie gebannt hingen seine Blicke an der gewaltigen Kugelstation,
die von den Tastern des Sonnentauchers in den Fokus ihrer Bilderfassung
gerückt wurde.
»Beim Jupiter!« Pondo Red gab einen tiefen Kehllaut von sich,
der seine ganze Überraschung ausdrückte. »Ist die riesig!«
Das kugelförmige Gebilde bot in der Tat einen beeindruckenden Anblick.
Die Datensequenz, die der Suprasensor des Sonnentauchers in den Sichtschirms
einblendete, gab dem Artefakt einen Durchmesser von zehn Kilometern. Es
war eine perfekte Kugel, die da in der Korona schwebte. Gehalten von Kräften,
die sich das Artefakt aus der Sonne selbst holte. Die äußere
Hülle war glatt und schimmerte stumpf metallisch.Lee Prewitt stieß
zischend die Luft aus.
»Mister Curzon. Fliegen Sie das Ding an. Sie wissen, wonach Sie
suchen müssen.«
»Verstanden, Sir.«
Der Leutnant aktivierte die Manuellsteuerung.
Der Sonnentaucher bewegte sich in einem weiten Halbkreis um das künstliche
Gebilde, wobei er zuerst die sonnenzugewandte Seite der kugelförmigen
Station tangierte. Angestrengt starrten vier Augenpaare auf den Frontschirm
in der Kabine.
»Nichts zu sehen auf der Hülle«, gab Prewitt halblaut
über die stehende Phase des To-Funks an die CHARR weiter.
»Sie werden auch nichts finden«, ließ sich Lem Foraker
aus dem Leitstand des Ellipsenraumers hören, wo man die Annäherung
gespannt mitverfolgte. Curzon veränderte leicht den Kurs, bremste
ab und ließ den
Sonnentaucher auf einer Tangentenbahn um die Kugel herumschwingen; es
brauchte Geschick, um das kleine Boot in den turbulenten Plasmaströmen
an die zehn Kilometer große Kugel heranzuführen. Mit deutlich
verringerter Fahrt steuerte er es in den »Schlagschatten«
der sonnenabgewandten Seite der Station, deren Vernichtungspotential ausreichte,
einen Prozeß in der Sonne anzuregen, der sie zu einer Supernova
entarten lassen würde.
»Da ist es!« rief Professor Bannard aus und deutete auf den
Frontschirm der Steuerkanzel. Sie hatten eben den sonnenfernsten Punkt
der Kugel erreicht, wie Prewitt durch einen raschen Blick auf die ständig
mitlaufenden Datenzeilen registrierte, als sich auf der Hülle der
Sonnenstation eine im Verhältnis zu den gigantischen Proportionen
der Kugel winzige Pyramide zeigte. Die Sensorenauswertung ergab eine Höhe
von nicht mehr als drei Meter, gemessen von der gleichschenkligen Basis
bis zur Spitze.
»Wir sind am richtigen Ort«, nickte Bannard zufrieden.
Der Sonnentaucher schob sich näher und näher an die Kugel heran.
Jarod Curzon korrigierte den Annäherungsvektor und drehte das Beiboot
so, daß es mit der Unterseite auf die Kugelhülle »heruntersank«.
»Achtung, Leutnant Curzon«, warnte Lee Prewitt. »Gehen
Sie nicht zu nahe heran. Denken Sie an die Umkehrung der Schwerkraftverhältnisse
im Bereich der Außenhülle.«
»Ich habe es nicht vergessen, Sir.«
Die kugelförmige Manifestation vergangener Größe des Kaiserreichs
der Nogk war von einem Schirmfeld negativer Gravitation umgeben, um die
Ströme glühender Materie im Inneren der Photosphäre, die
fluktuierenden Felder magnetisierten Plasmas und Gase, die auf die Station
eindrangen, von der Hülle fernzuhalten. Lem Foraker war auf dieses
Phänomen gestoßen, als er im April dieses Jahres mit einem
Sonnentaucher in die Korona der Sonne Geret vorgedrungen war, um die dort
verborgene Sonnensonde zu erkunden. Inzwischen waren, aufbauend auf dieser
Exkursion, die Abstoßparameter der geretschen Sonnenstation in die
Suprasensoren der neuen Sonnentaucher integriert.
Die Annäherungskompensatoren trugen dem Rechnung.
Die Vektorgraphik auf dem Schirm lief langsam rückwärts, und
in einer Entfernung von zehn Metern verharrte der Sonnentaucher über
der Pyramide, die wie ein winziger Dorn aus der ansonsten glatten Außenhülle
hervorstand, und deren Seitenflächen mit nogkschen Schriftsymbolen
bedeckt war. Symbole einer uralten Sprache, wie sie zu Zeiten der ersten
Kaiser der Hitaura-Dynastie gesprochen worden war.
»Jetzt«, sagte Lee Prewitt, zu Pondo Red gewandt, »dürfen
Siein Aktion treten, Leutnant.«
»Aye, Sir!«
Pondo Red schaltete an seiner bisher inaktiven Konsole. Für ein paar
Sekunden geschah gar nichts. Dann schob sich aus dem Bugbereich des Sonnentauchers
ein im Vergleich zu den übrigen Dimensionen lächerlich dünner
Panzerschlauch mit einer Kabelseele aus Nogk-Fertigung. Die Spitze wies
eine Art greifarmähnlichen Fortsatz auf, der nichts anderes war als
ein elektronischer Türöffner. War das erste Eindringen in eine
Sonnenstation nur durch puren Zufall gelungen, so konnte man jetzt wohlüberlegt
und gut berechnet vorgehen. Charauas Wissenschaftler hatten den kaiserlichen
Archiven alle relevanten Informationen über die Sicherungsprotokolle
entnommen und den »Türöffner« entsprechend dieser
Parameter präpariert.Die vollautomatische Ankopplungsvorrichtung
wußte genau, was sie zu tun hatte. Wie ein eigenständiges Lebewesen
suchte und fand sie die unscheinbare Stelle am Fuße der kleinen
Pyramide, auf die es ankam. Auf dem korrespondierenden Monitor in der
Steuerkanzel des Sonnentauchers pulsierte ein grünes Licht; der Verbindungsarm
war fündig geworden und hatte sich angekoppelt.
Pondo Red stieß einen Pfiff aus.
»Bingo!« sagte er triumphierend und verwendete dafür
eine uralte Bezeichnung aus dem Englischen, der Vorläufersprache
von Angloter. »Dann wollen wir mal sehen, ob wir auch akzeptiert
werden…«
Seine Finger glitten über die Tastatur der Konsole, gaben eine Reihe
von Befehlsparametern ein.
Eine Sequenz elektronischer Impulse aus dem Bordrechner des Sonnentauchers
übertrug den Autorisationscode, der die Schutzschaltung der Sonnenstation
überbrücken und Zugang zu dem Hauptrechner im Inneren des gigantischen
Artefakts gewähren sollte.
Der Suprasensor stieß eine Abfolge kurzer Töne aus.
»Was ist jetzt?« Allister Bannards Stimme klang besorgt.
»Nichts, was zur Besorgnis Anlaß gäbe«, beruhigte
Pondo Red.
»Das fremde System hat nur noch einmal unsere Autorisation verlangt«
»Müssen Sie nicht…?«
»Macht der Rechner allein«, beantwortete Lee Prewitt Bannards
Frage.
Die Töne verstummten.
»Das System hat uns akzeptiert…«
»Senden Sie den Abbruchcode, Leutnant!«
Der Bordrechner übertrug einen Wirbel elektronischer Sequenzen. Eine
kleine Weile geschah nichts.
Lee Prewitt runzelte schon die Stirn. Dann löste sich der Panzerschlauch
von der Pyramide und wurde
von der Automatik eingezogen. Als hätte man einen Anker gelöst,
driftete die Pyramide unter dem Sonnentaucher hinweg, mit ihr die enorme
Masse der Sonnensonde. Gespannt blickten die Insassen des Bootes auf den
Schirm.
»Na also!«
*
Tiefe
Zufriedenheit kennzeichnete den Ausspruch des Ersten Offiziers der CHARR,
als sich die Sonnenstation – zuerst kaum merklich, dann doch deutlich
erkennbar – vom Sonnentaucher entfernte und gemächlich in die
Tiefe sank. »Und nun nichts wie weg. Wir wissen nicht hundertprozentig
sicher, was geschieht, wenn die Novastation tiefere Schichten erreicht.«
»Das könnte unter Umständen problematisch werden«,
nickte Allister Bannard und setzte sich in seinem Kontursitz zurecht.
»Was sollte denn schon groß geschehen?« wollte Jarod
Curzon wissen, während er dem Sonnentaucher einen vertikalen Aufstiegsvektor
gab. Seiner Miene sah man an, daß er begierig schien, dieser Umgebung
zu entkommen. Allister hob die Schultern.
»Wir haben ihre gravimetrischen Ketten deaktiviert, die sie an diesem
fixen Orbit fesselten. Jetzt wird sie von den Schwerkraftfeldern des Sonnenkerns
in die Tiefe gezogen und…«
»Verglühen?«
»Vermutlich wird sie der unvorstellbare Druck bereits vorher zerquetschen.
Oder beides tritt ein.«
»Und der Zündmechanismus? Kann der nicht doch Auslöser
für eine Supernova sein?«
Nur Prewitt sah das Funkeln in Bannards Augen, der gleichmütig meinte:
»Tja, darüber haben wir nun wirklich keine gesicherten Erkenntnisse.
Vergessen Sie nicht, junger Mann, dies ist eine Premiere.«
Curzon wechselte die Farbe, weshalb sich Lee Prewitt genötigt sah,
einzuschreiten.
»Nun verunsichern Sie mir nicht das Personal mit Ihrem makabren
Humor, Professor«, sagte er tadelnd. Und an Curzon gewandt: »Lassen
Sie es sich gesagt sein, Leutnant, es wird nichts dergleichen geschehen.
Und nun bringen Sie uns endlich von hier weg!«
»Aye, Sir!«
Geschützt von der nogkschen Abschmelzpanzerung gestaltete sich die
Fahrt hoch zur Chromosphäre ohne Unterbrechungen. Schließlich
hatten sie die Korona Goonas hinter sich und glitten in den freien Raum.
Einmal außerhalb der Sonnenatmosphäre, beschleunigte der Sonnentaucher
mit allem, was die Konverter hergaben.
Die
Einsatzgruppe hatte sich bereits 150 000 Kilometer von dem riesigen Fusionsreaktor
entfernt, als hinter ihr in der Tiefe derSonne die aller Fesseln ledige
Novastation von den unvorstellbaren Drücken zu Atomen zerrissen und
zerstrahlt wurde. So gewaltige Kräfte der gigantischen Sonde auch
innegewohnt haben mochten, sie reichten nun nicht einmal dazu, der Sonne
ein Rülpsen abzuringen. Kurz darauf wurde der Sonnentaucher mit der
Kennziffer II von der CHARR aufgenommen.
*
Colonel
Huxley stand in seinem Aufenthaltsraum vor der großen Sichtsphäre,
die ihm nach Art eines Fensters einen Blick in den Weltraum gestattete,
und sah »hinaus«. Jenseits der golden schimmernden Druckhülle
der CHARR erstreckten sich die Sternbilder der Großen Magellanschen
Wolke. Zusammen mit M 31, der Andromedagalaxis, und dem Spiralnebel M
33 gehörte die Milchstraße zu einer Gruppe von etwa 30 Galaxien,
die gemeinsam ein Raumgebiet von vier Millionen Lichtjahren Durchmesser
für sich beanspruchten. Da sich weitere Galaxien erst in einer Entfernung
von sieben bis zehn Millionen Lichtjahren Distanz befanden, faßten
irdische Astronomen die Galaxiensysteme in der näheren Umgebung der
Milchstraße zu einer Gruppe zusammen, die als »Lokale Gruppe«
in den Sternenkarten verzeichnet war. Abgesehen von den ›Großen
Drei‹ – Milchstraße, M 31 und M 33 – waren alle
anderen in der Lokalen Gruppe Zwerggalaxien, Begleiter der großen
Brüder. Beim Andromedanebel mit seinem Durchmesser von hundertfünfzigtausend
Lichtjahren und einer Entfernung von 3 Millionen Lichtjahren waren das
NGC 205 und NGC 221. Bei den Trabanten der heimischen Milchstraße,
die unter diesen Großen Drei in der Gruppe den zweiten Platz einnahm,
handelte es sich um die Kleine und die Große Magellansche Wolke,
die etwa 180.000 Lichtjahre »unterhalb « der galaktischen
Hauptebene lagen.
Ein Summton erklang…
Ein großes
Danke Hajo F. Breuer, der mir diese Leseprobe 2 Wochen vor dem offiziellen
Erscheinungstermin für www.rendhark-universe.net
zur Verfügung gestellt hat!
Forschungsraumer CHARR: Leseprobe, Frühjahr 2004
© HJB Verlag & Shop KG, Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied
Tel.: 02631–354832, Fax: 02631–356102, Internet: www.hjb-shop.de
E-Mail: hjb@bernt.de, Redaktion: H. F. Breuer, Titelbild: S. Papenbrock
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