*Forschungsprojekt SEOS_2063*

Eine Fanstory von Matthias Scharf
(2006)
Die Macht der Kristalle
Seite 4/9


 

Santiago und Schlomo begaben sich in das Leitungszimmer der Forschungswerkstätten, einem effektiv und nüchtern eingerichtetem Raum, der fade wirkte.
Hier wurde Proff Schlomo erneut zur Rede gestellt. „Erklären Sie ihren Versuchsaufbau! Wie kam es zu dem Unfall, Fitzpatrick?“, fragte der Leiter kurz und bündig. Er hatte den verrückten Proff schon lange auf der Liste, der unliebsamen Personen.

Reginald Schlomo Fitzpatrick begann zu referieren:

„Zur Herstellung von neuartigen elektro-optischen Bauelementen mit gezielt eingestellten Eigenschaften braucht man oft Materialkombinationen, die in der Natur nicht vorkommen. Ein wichtiges Verfahren, um die benötigten Schichtkombinationen durch geordnetes Wachstum einer Substanz auf einer anderen zu erzeugen, ist die Molekularstrahl-Epitaxie. Für viele Anwendungen wie Laserstrukturen, Licht emittierenden Dioden, schnellen elektronischen Schaltern oder Transistoren ist es wichtig, atomar glatte Schichten zu erhalten. Leider wachsen Materialien mit unterschiedlicher Struktur oder Gitterkonstanten natürlicherweise nicht Schicht für Schicht, sondern als zerklüftetes Gebirge. Man muss die Natur also überlisten, um atomar glatte Schichten zu erhalten. Eine Möglichkeit hierzu ist die Verwendung einer extrem dünnen (mono-atomaren) Schicht aus Fremdatomen.“

Schlomo hatte hier fast wörtlich aus dem Infopedia vorgetragen, dass er immer öfter zu Recherchen heranzog. Es war gut, dass es das gab. Gerade das Gebiet der Molekularstrahl-Epitaxie war gut geordnet und verfügbar.

„Eine technologisch wichtige Anwendung ist das Wachstum einer Germaniumschicht auf einem Siliziumsubstrat. Diese Materialkombination ermöglicht z.B. den Bau schnellerer Transistoren und Computerchips. Das Wachstum einer glatten Germaniumschicht auf der Siliziumoberfläche gelingt nur unter Verwendung einer mono-atomaren Schicht aus Arsen- oder Antimon-Atomen. Die reine Silizium-Oberfläche zeigt eine sehr komplizierte Anordnung, bei der viele Atome aus ihren idealen Positionen verschoben sind.“ Der Proff zeigte ein breites Lächeln, und sagte sehr kurz, „ Das glaube ich denen nicht.“ Und als Erklärung, „Die Kristalle müssen doch wachsen.“
Wie ein Kind erzählte er weinerlich, dass er völlig neue Kristalle für die oben erwähnten Bauteile züchten wolle.
„Beim Kristallwachstum auf dem Boden einer Schale bilden sich flache Alaunkristalle, die erfahrungsgemäß nur schwer zu Oktaedern auswachsen. Deshalb züchtet man Impfkristalle, indem man einen Wollfaden in einen Erlenmeyerkolben mit der gesättigten Lösung hängt.“, erklärte er trotzig. „Es waren wohl zu viele Fäden aus meiner Strickjacke, und die Flammen des Bunsenbrenners zu hoch.“ Proff Schlomo zeigte mit einer Handbewegung die Folgen an und machte: „Bum ....“ dazu.
Traurig sagte er noch: „Die schönsten Kristalle werden mit einer Pinzette aus der Lösung genommen und dienen als Impfkristalle für die folgenden Versuche. Hoffentlich finde ich nun noch welche.“ Er lächelte unschuldig dabei. Für ihn war der Vorfall bereits erledigt.

Dr. Rodrigo Santiago schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: „Bunsenbrenner beim Kristallwachstum? Sie zünden mir die Gebäude an. Sie hören jetzt auf mit den Spielchen!“, und gab gleich noch eine Begründung hinterher: „Wir haben uns seit einigen Jahren mit der quantenmechanischen Berechnung von atomaren Strukturen und Energiebarrieren für kinetische Prozesse von Adatomen sowie von kleinen Inseln auf der surfactant-bedeckten Silizium(111)-Oberfläche beschäftigt. Diese Rechnungen berücksichtigen die quantenmechanische Beschreibung des Vielelektronenproblems von realen Materialien und erlauben somit eine unvoreingenommene und vorurteilsfreie Berechnung von Reaktionspfaden in hochdimensionalen Phasenräumen ,,aus ersten Prinzipien``. Die Ergebnisse ermöglichen die Interpretation von Experimenten zum surfactant-modifizierten Kristallwachstum und liefern ein mikroskopisches Verständnis des Wachstums.“

Santiago machte eine kurze Denkpause und hatte das Gefühl, dass niemand verstanden hatte, was er meinte.
„Beschäftigen Sie sich damit! Und jetzt – Raus!“, er konnte den verrückten Proff nicht mehr ertragen. Plötzlich viel ihm ein, dass er noch etwas vergessen hatte. „Ach, Fitzpatrick, ersetzen sie doch mal die Grundelemente ihrer Versuche! Setzen Sie statt des Silizium, Silikate ein! Mit unseren Forschungen haben wir z. B. eine Erklärung dafür gefunden, dass bei der Deposition von Silizium auf Arsen- oder Antimon-bedeckten Oberflächen die Dichte der Silizium-Inseln viel größer ist, als auf der reinen Silizium-Oberfläche. Mit Silikaten müsste das noch viel besser gehen.“ Proff Schlomo hatte sehr aufmerksam zugehört. Deshalb ergänzte Dr. Santiago noch seine Forderung: „Und das Germanium ersetzen Sie mal durch das Regravidum. Das ist ein neues Element, das erst vor Kurzem im Weltall entdeckt worden ist. Holen Sie sich eine Probe im Keller!“ „ Und Schlomo“, Santiago hob den Zeigefinger, „keine Alleingänge mehr! Und ab!“

Mit einem Lächeln verlies Proff Schlomo den Leiter. Dabei summte er leise „Re - gra – vi – dum“ vor sich hin. „Re – gra – vi – dum“

 

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