Die
Macht der Kristalle
Denver, Zentrum für Informations- und Datenverarbeitung,
zwei Jahre zuvor
Es war zum Haare raufen. In einem Technikraum des „Zentrums für
Informations- und Datenverarbeitung“ in Denver / Colorado fluchte
zum wiederholten mal Funkspezialist John McWarren vor sich hin.
Der Raum erinnerte mehr an einen Elektronik-Recyclingplatz als an einen
Arbeitsraum. Ein Dutzend Rechnerarbeitsplätze aus unterschiedlichen
technischen Perioden waren wirr und provisorisch miteinander verkabelt.
Dazwischen, wie vergessen, standen mehrere Großrechner in Einschubtechnik
Blade-Tec aus dem letzten Jahrzehnt. TFT-Bildschirme wechselten
mit Plasmabildschirmen und rahmten dann noch einen Flüssigkristallsichtschirm
ein. Ein Elektronikschrottplatz musste dagegen so aufgeräumt wie
ein Supermarkt wirken.
Gerade hatte sich ein vorsintflutlicher Plattenspeicher mit lautem
Krächzen verabschiedet und dabei eine Wolke Verbrennungsabgase
hinterlassen, die sich ihren Weg in den Raum suchten. Der veraltete
Propellerlüfter tat sein Bestes, um die Dämpfe gleichmäßig
im Raum zu verteilen. Es war einfach nur ärgerlich, dass bei jedem
Abschied eines Speichers mehrere Terabyte Daten verloren gingen. Das
war Johns größter Alptraum; ging doch die Arbeit von mindestens
einer Woche mit der Platte dahin. Jetzt musste er einfach nur hinaus
und einen Kaffee trinken. Ohne ein Wort verlies er den Raum und die
vorsintflutliche Eingangstür fiel krachend in ihr Schloss.
Während er das heiße Getränk genüsslich trank,
dachte er über seine Aufgabe nach.
Gemeinsam mit einer Gruppe weiterer Informatiker, Computertechniker
und einfachen Studenten sollte er alle Informationen und Daten, die
die Menschheit bis dato gesammelt hatten, zusammenstellen und zentral
Speichern.
Hintergrund war die Zergliederung der Datenspeicher auf der Erde. Politisch
und gesellschaftlich waren die Menschen der Erde vereinigt. Die Erde
war je nach geografischen Gebieten in Leitungssektoren gegliedert. Interessengruppen
und Parteien der Volksgruppen stellten gemeinsam das Groß-Parlament
und die Regierung der Erde wurde von allen Menschen gewählt.
Nur auf dem Gebiet der Informatik wurden noch viele Süppchen gekocht.
Regierungsstellen, Institutionen, Forschungsstellen, das Militär
und, und, und,... sammelten ihre Daten und Informationen unabhängig
voneinander. Deshalb gab es genauso viele verschiedene Datenspeicher,
Speicherorte und Datenverarbeitungssysteme wie Anwender. Veränderungen
in der Gesellschaft und bewaffnete Konflikte hatten in der Vergangenheit
oft zu hohen Datenverlusten geführt. Deshalb war es jetzt ein weltumfassendes
Anliegen das Wissen der Menschheit zu sichern und zu speichern, und
unangreifbar zu hinterlegen.
Das war eine gigantische Aufgabe, seit der Einweisung im Forschungsministerium
kannte er das wahre Ausmaß. Die Gesamtheit aller gedruckten Werke
auf der Erde wurde nach der Jahrtausendwende auf 0,2 Exabyte (EB) geschätzt.
Allein der Textumfang der Bestände der „Library of Congress“
mit seinen rund 20 Millionen Büchern musste zu dieser Zeit bei
bis zu 80 Terabyte (TB), also 80000 Gigabyte (GB), liegen.
Wenn man bedenkt, dass die Speicherkapazitäten der weltweit größten
Rechenzentren Ende 2002 zwischen 1 Petabyte (PB) und 10 PB lagen, was
bis zu 10 Millionen Gigabyte entspricht, konnte man das Ausmaß
der Aufgabe erkennen.
John schwindelte bei den Zahlen. Nach den Konflikten der letzten Jahre,
den großen technologischen Erfolgen der eigenen Gesellschaft aber
auch der Integration von extraterrestrischen Technologien musste es
einen großen Datenschub gegeben haben. Die Gesamtheit des Menschlichen
Wissens dürfte wohl derzeit mehrere Hundert Exabyte betragen. Der
Speicherbedarf sollte vorausschauend auf etwa ein Zettabyte ausgebaut
werden, was Daten in Höhe von 10^21 Byte entspricht. Dazu mussten
aber auch noch neue Techniken der Datenkomprimierung entwickelt werden,
um sie konzentriert speichern zu können. John fühlte sich
ein wenig hilflos bei der Größe dieser Aufgabe, obwohl er
sich doch der Bewahrung von Daten verschrieben hatte.