Larissa Simonow, die von ihren Freunden meist Lara gerufen wurde, stützte
sich mit beiden Händen auf ihrem Arbeitstisch ab. Sie war eine
dralle Frau mit rosa Pausbacken. Ihre Erscheinung strahlte Kraft und
Durchsetzungsvermögen aus. Auf einem Bildschirm, den sie aus der
Arbeitsfläche aufgeklappt hatte, sah sie die Arbeiten im Zentrum
der Ringstation.
Zwischen sechs halbrunden Stützen wurde eine Kugel aus CUT-5 zusammengesetzt.
Dazu mussten die Kugelsegmente, ähnlich Apfelsinenschalenstreifen,
von Montagerobotern in das Zentrum der Ringstation befördert werden.
Sie wurden dort in einem speziellen Schweißverfahren miteinander
optimal verbunden.
Der Weg in das Zentrum war einigermaßen verschlungen. Die Kugelsegmente
wurden in der Nähe der Station, in einer Industrieanlage, die als
fliegende Plattform auf einer weiten Umlaufbahn die Station umkreiste,
angefertigt. Transportfähren schleppten die Segmente bis kurz vor
die Ringstation und bremsten dann die Eigengeschwindigkeit der Segmente
ab, hier übernahmen spezielle Roboter mit Steuerdüsenantrieb
die Bauteile und jonglierten sie in langsamer „Fahrt“ zwischen
den Stationsringen 1 und 2 hindurch, weiter durch die Speichen der Ringstation
nach oben, und schließlich zwischen die Stützen in das Zentrum.
Hier mussten die Segmente passgenau ausgerichtet werden, um zu einer
Kugel zusammenwachsen zu können. Gerade eben wurde ein weiteres
Segment ausgerichtet und die Montageroboter begannen ihr Werk. Nur noch
wenige Segmente mussten eingesetzt werden, der Lückenschluss stand
kurz bevor.
Das, was auf dem Bildschirm wie ein Tennisball wirkte, war in Wirklichkeit
eine einhundert Meter durchmessende Kugel aus einem hochfesten CUT-5-Mantel,
die von sechs gleichmäßig angeordneten halbrunden Stützen
mittels Antigrav-polster in ihrer Position gehalten wurde.
Sie erinnerte sich, während sie die Bilder auf dem Monitor sah:
Bei den Planungen zur Ringstation hatte sie eine zentral gelegene externe
Speichereinheit verlangt. Die anwesenden Techniker hatten diese Speichereinheit
in den zentralen Mittelpunkt der Stationsnabe eingeordnet. Aber schon
zu diesem Zeitpunkt war klar, dass beim heutigen Stand der Technik der
Speicherplatz nicht ausreichen würde, alle Daten zu erfassen.
Erst mit der Erfindung der Speicherkristalle durch Professor Fitzpatrick
war dieses Problem gelöst worden.
Ein weiteres Problem war die Sicherheit der Daten. Allein die Lage im
Mittelpunkt der Station würde nicht ausreichen, die Daten sicher
aufzubewahren und zu schützen. Das Mitglied im Sonderkomitee für
militärische Angelegenheiten, Starmajor Blücher, forderte
deshalb immer wieder einen größeren Schutz der Daten. Hier
hatte der Betonkopf mal wirklich recht, Lara musste ihm da zustimmen.
Deshalb hatten die Konstrukteure der Ringstation die Bibliothek in einen
CUT-5-Mantel verpackt und ihr eine Kugelform gegeben.
Alle Mitglieder des Sonderkomitees stimmten, fast wie ein Wunder, einstimmig
dem Vorschlag zu. Die Kristallbibliothek sollte aber ein Geheimnis bleiben.
Bisher kannten auch nur wenige eingeweihte Personen das Geheimnis der
Kugel im Zentrum und das sollte so bleiben.
Ein weiteres Novum war der Aufbau der Wabenspeicher. Da die Kugel zum
Schutz der Speicher vor unerlaubtem Zugriff nur mikroskopisch kleine
Zugänge hatte, übernahmen Kleinstroboter den Transport der
Speicherkristalle und die Aufbauarbeit.
Es war für Lara wie die Invasion der Nanobots. Sie bewegten sich
schwebend durch die Transportröhren und hatten nur eine Aufgabe
zu erfüllen. Kleinstroboter, im Nanotechnologie-Format, die die
Aufgabe hatten, die Speicherkristalle durch die mikroskopisch kleinen
Zugänge im Kugelraum zu bringen dort unter den bestimmten physikalischen
Bedingungen, die nur der Proff Schlomo kannte, zu einem ganzen Wabenspeicher
zusammenzusetzen. Das Prinzip erinnerte sie an einen Bienenstock. Das
produzieren der Speicherkristalle, das Speichern von Daten aus dem Infopedia,
der Transport durch die Transportröhren und der Aufbau der Wabenspeicher
waren eine sehr komplexe Routinearbeit. Die Nanobots waren ständig
in Bewegung, wie in einem Bienenstock eben. Nach und nach sollte so
die größte Kristallbibliothek der Menschheit entstehen -
Das gesamte Wissen der Menschheit geballt in einer Kugel.
Proff Schlomo – beim Gedanken an den genial-verrückten Professor
musste sie tief durchatmen. Dieser Mensch war wirklich genial und leistungsfähig,
aber als Mensch eine Zumutung. Niemand konnte mit ihm länger als
eine kurze Zeit zusammenarbeiten. Nur der Schotte John McWarren ordnete
alle Empfindungen seiner Aufgabe, dem Infopedia-Projekt, unter und ließ
sich auch durch das Verhalten des Professors nicht ablenken.