Santiago und Schlomo begaben sich in das Leitungszimmer der Forschungswerkstätten,
einem effektiv und nüchtern eingerichtetem Raum, der fade wirkte.
Hier wurde Proff Schlomo erneut zur Rede gestellt. „Erklären
Sie ihren Versuchsaufbau! Wie kam es zu dem Unfall, Fitzpatrick?“,
fragte der Leiter kurz und bündig. Er hatte den verrückten
Proff schon lange auf der Liste, der unliebsamen Personen.
Reginald Schlomo Fitzpatrick begann zu referieren:
„Zur Herstellung von neuartigen elektro-optischen Bauelementen
mit gezielt eingestellten Eigenschaften braucht man oft Materialkombinationen,
die in der Natur nicht vorkommen. Ein wichtiges Verfahren, um die benötigten
Schichtkombinationen durch geordnetes Wachstum einer Substanz auf einer
anderen zu erzeugen, ist die Molekularstrahl-Epitaxie. Für viele
Anwendungen wie Laserstrukturen, Licht emittierenden Dioden, schnellen
elektronischen Schaltern oder Transistoren ist es wichtig, atomar glatte
Schichten zu erhalten. Leider wachsen Materialien mit unterschiedlicher
Struktur oder Gitterkonstanten natürlicherweise nicht Schicht für
Schicht, sondern als zerklüftetes Gebirge. Man muss die Natur also
überlisten, um atomar glatte Schichten zu erhalten. Eine Möglichkeit
hierzu ist die Verwendung einer extrem dünnen (mono-atomaren) Schicht
aus Fremdatomen.“
Schlomo hatte hier fast wörtlich aus dem Infopedia vorgetragen,
dass er immer öfter zu Recherchen heranzog. Es war gut, dass es
das gab. Gerade das Gebiet der Molekularstrahl-Epitaxie war gut geordnet
und verfügbar.
„Eine technologisch wichtige Anwendung ist das Wachstum einer
Germaniumschicht auf einem Siliziumsubstrat. Diese Materialkombination
ermöglicht z.B. den Bau schnellerer Transistoren und Computerchips.
Das Wachstum einer glatten Germaniumschicht auf der Siliziumoberfläche
gelingt nur unter Verwendung einer mono-atomaren Schicht aus Arsen-
oder Antimon-Atomen. Die reine Silizium-Oberfläche zeigt eine sehr
komplizierte Anordnung, bei der viele Atome aus ihren idealen Positionen
verschoben sind.“ Der Proff zeigte ein breites Lächeln, und
sagte sehr kurz, „ Das glaube ich denen nicht.“ Und als
Erklärung, „Die Kristalle müssen doch wachsen.“
Wie ein Kind erzählte er weinerlich, dass er völlig neue Kristalle
für die oben erwähnten Bauteile züchten wolle.
„Beim Kristallwachstum auf dem Boden einer Schale bilden sich
flache Alaunkristalle, die erfahrungsgemäß nur schwer zu
Oktaedern auswachsen. Deshalb züchtet man Impfkristalle, indem
man einen Wollfaden in einen Erlenmeyerkolben mit der gesättigten
Lösung hängt.“, erklärte er trotzig. „Es
waren wohl zu viele Fäden aus meiner Strickjacke, und die Flammen
des Bunsenbrenners zu hoch.“ Proff Schlomo zeigte mit einer Handbewegung
die Folgen an und machte: „Bum ....“ dazu.
Traurig sagte er noch: „Die schönsten Kristalle werden mit
einer Pinzette aus der Lösung genommen und dienen als Impfkristalle
für die folgenden Versuche. Hoffentlich finde ich nun noch welche.“
Er lächelte unschuldig dabei. Für ihn war der Vorfall bereits
erledigt.
Dr. Rodrigo Santiago schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: „Bunsenbrenner
beim Kristallwachstum? Sie zünden mir die Gebäude an. Sie
hören jetzt auf mit den Spielchen!“, und gab gleich noch
eine Begründung hinterher: „Wir haben uns seit einigen Jahren
mit der quantenmechanischen Berechnung von atomaren Strukturen und Energiebarrieren
für kinetische Prozesse von Adatomen sowie von kleinen Inseln auf
der surfactant-bedeckten Silizium(111)-Oberfläche beschäftigt.
Diese Rechnungen berücksichtigen die quantenmechanische Beschreibung
des Vielelektronenproblems von realen Materialien und erlauben somit
eine unvoreingenommene und vorurteilsfreie Berechnung von Reaktionspfaden
in hochdimensionalen Phasenräumen ,,aus ersten Prinzipien``. Die
Ergebnisse ermöglichen die Interpretation von Experimenten zum
surfactant-modifizierten Kristallwachstum und liefern ein mikroskopisches
Verständnis des Wachstums.“
Santiago machte eine kurze Denkpause und hatte das Gefühl, dass
niemand verstanden hatte, was er meinte.
„Beschäftigen Sie sich damit! Und jetzt – Raus!“,
er konnte den verrückten Proff nicht mehr ertragen. Plötzlich
viel ihm ein, dass er noch etwas vergessen hatte. „Ach, Fitzpatrick,
ersetzen sie doch mal die Grundelemente ihrer Versuche! Setzen Sie statt
des Silizium, Silikate ein! Mit unseren Forschungen haben wir z. B.
eine Erklärung dafür gefunden, dass bei der Deposition von
Silizium auf Arsen- oder Antimon-bedeckten Oberflächen die Dichte
der Silizium-Inseln viel größer ist, als auf der reinen Silizium-Oberfläche.
Mit Silikaten müsste das noch viel besser gehen.“ Proff Schlomo
hatte sehr aufmerksam zugehört. Deshalb ergänzte Dr. Santiago
noch seine Forderung: „Und das Germanium ersetzen Sie mal durch
das Regravidum. Das ist ein neues Element, das erst vor Kurzem im Weltall
entdeckt worden ist. Holen Sie sich eine Probe im Keller!“ „
Und Schlomo“, Santiago hob den Zeigefinger, „keine Alleingänge
mehr! Und ab!“
Mit einem Lächeln verlies Proff Schlomo den Leiter. Dabei summte
er leise „Re - gra – vi – dum“ vor sich hin.
„Re – gra – vi – dum“